Gedanken zum Lenkkopflager
©Text und Bilder ThomasB
Das Wissen, was ein Lenkkopflager ist, wo es montiert ist und dass so etwas in jedem konventionellen Motorrad verbaut ist setze ich mal voraus. Hier soll es um erläuternde Überlegungen gehen, was so ein Lager können soll, was es nicht leisten kann, Grundbedingungen für eine einwandfreie Funktion des Lagers und vielleicht auch ein wenig "Luft" aus der, teilweise hysterischen Überbewertung dieses Bauteils bezüglich der Fahrsicherheit gelassen werden.
Das Lenkkopflager soll für eine möglichst spielfreie, über den gesamten Lenkeinschlag gleichmäßig leichtgängige Lagerung der Vorderradführung (Gabel) sorgen und muss zudem noch enorme Kräfte aushalten und weiterleiten können, die beim Betrieb des Motorrads auftreten.
Skizze, die roten Pfeile zeigen die Richtung, in der das Lager beansprucht wird
Für ein Rangieren des geschobenen Krades oder bei unter-Schrittgeschwindigkeit, also in extrem langsamer Bewegung freut man sich über eine leichtgängige Lenkung die widerstandsfrei einen vollen Lenkeinschlag ermöglicht, dies ist allerdings nicht die Art von Lenken, die im Fahrbetrieb gefordert ist.
Bei höherer Geschwindigkeit sind sowohl beim Kurvenfahren, wie auch bei der Geradeausfahrt ständige, minimale Korrekturbewegungen durch die Lenkung notwendig. Gibt es jetzt beim Lenken Widerstände durch zu stramme Einstellung des Lagers, Verschleiß, Verschmutzung oder ungeeignetes Material führt dies zu einem Fahren wie in einer Spurrille - man muss das Motorrad "herauszwingen", meist mit einer Lenkbewegung über das Ziel hinaus, was dann wieder eine Korrektur erfordert und so fort. Eine entspannte Geradeausfahrt ist ebenso unmöglich wie das Fahren der Ideallinie in Kurven.
Bei einem ordnungsgemäß funktionierenden Lenkkopflager - ich schreibe bewusst funktionierend und nicht eingebaut - , dazu später mehr - können die fahrstabilitätsbeeinflussenden Kräfte ideal dazu beitragen, das rollende Fahrzeug aufrecht zu halten.
Wer hier mehr zu Kreiselkräften, Nachlauf und Gewichtsverteilung von Zweirädern wissen will -> http://bicycle.tudelft.nl/stablebicycle/
oder auch etwas einfacher -> http://www.golem.de/1104/82848.html
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Ein ordnungsgemäß funktionierendes Lenkkopflager kann nicht den Geradeauslauf verbessern, dafür ist überwiegend der Nachlauf mit seinen Rückstellkräften und die konstruktionsbedingte Gewichtsverteilung auf dem Krad verantwortlich. Des weiteren kann es auch keine Fahrwerksunregelmäßigkeiten "ausbügeln", die von anderen Bauteilen wie Rädern, Schwinge, Rahmen oder gar Fahrer und Beladung verursacht werden.
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Grundbedingungen für eine einwandfreie Funktion ist einmal ein passendes, möglichst verschleißarmes Material in einer dem Zweck entsprechenden Bauform, üblich sind Kugellager oder Kegelrollenlager. Korrekter Einbau vorausgesetzt sind diese Bauformen recht langlebig und bedürfen nur geringer Wartung. Trotzdem sollte ihre Einstellung regelmäßig überprüft werden, da diese das Fahrverhalten maßgeblich beeinflusst.
Über die negativen Seiten eines zu engen, klemmenden Lagers, Verschleiß wie z.B. "Rastpunkte" oder Korrosion und Abnutzung wurde oben bereits geschrieben, bleibt noch ein zu locker eingestelltes Lager. In diesem Fall kann sich die nicht spielfrei eingespannte Gabel in ihrer Führung axial bewegen, zusätzlich ist je nach Lagerbauform auch ein seitliches Bewegen möglich. Beides verschlechtert die Fahreigenschaften und fördert den Verschleiß. Die leichteren Massen Vorderrad und Gabel bewegen sich bei den, für die Fahrstabilität zwingend nötigen Pendelbewegungen des Fahrzeugs unabhängig und teilweise entgegengesetzt zur höheren Masse des restlichen Motorrades. Diese Gegenbewegung kann von einer Vibration über Lenkerflattern bis hin zum Lenkerschlagen führen. Auch Einflüsse aus dem hinteren Teil des Krades, durch die bereits angesprochenen Räder, Schwinge, Rahmen, Fahrer und Beladung übertragen sich auf das lockere Lager und sorgen für Unruhe im Vorderrad.
Zu stramme Lagereinstellung kann zu einem Lenkerpendeln bei einem Tempo von ca. 80 kmh führen, was bei Geschwindigkeitserhöhung dann wieder nachlässt , Rastpunkte oder z.B. unrund gewordene Kugeln in den Lagern sind fahrtechnisch unangenehm - zu großes Lagerspiel kann vor allem bei höheren Geschwindigkeiten gefährlich werden, da sich dann aus einem Lenkerpendeln ein Lenkerschlagen entwickeln kann, dass in der Folge dann fast unweigerlich zum Sturz führt.
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Ob man jetzt mit Kugellagern, Kegelrollenlagern oder einfach einem Stück Speckschwarte als gleitender Zwischenlage fährt, ist meist vom Fahrzeugkonstrukteur vorgegeben. Derzeit gängig sind nach wie vor Kugellager, die in der verwandten Bauform sowohl axiale, wie auch radiale Kräfte aufnehmen können. Durch die Ausgestaltung der "Laufrille" - sie ist nicht der Kugelform entsprechend halbrund sondern entspricht eher der Seite einer Elipse - sind diese Lager bezüglich ihrer Einbaulage relativ fehlertolerant. Der Chef eines norddeutschen Rahmenrichtbetriebes, vereidigter Sachverständiger, sagt zu dem Thema, dass einige Zehntel bei dieser Lenkkopflager-Bauform problemlos ausgeglichen werden.
Kegelrollenlager erfordern dagegen genaue Passungen. Alle Anlageflächen und Sitze müssen absolut parallel zueinander sein, Einbau nur zwängungsfrei, d.h. das vielfach in Reparaturanleitungen gezeigte Eintreiben/Einschlagen vor allem des filigranen Außenrings ist ein Garant für ein kurzes Lagerleben. Die, durch die vergrößerte Aufstandsfläche von Rollen gegenüber Kugeln mögliche, längere Haltbarkeit wird also oft durch mangelnde Einbaupräzision und fehlerhafte Montage zunichte gemacht.
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Das Lenkkopflager ist schuld!
Beliebt, immer gerne in die Menge gerufen, jeder kennt den Schwager von einem, der wegen eines schlechten Lenkkopflagers fast zu Tode gekommen wäre, hätte er den an der geplanten Ausfahrt teilgenommen.
Mal im Ernst:
Wer kann jemanden benennen, bei dem das regelmäßig geprüfte und gewartete Lenkkopflager und nur dieses nachweislich (Gutachten!?) für einen Unfall verantwortlich war?
Bevor dieses arme Teil immer wieder als Schuldiger benannt wird, sollte man alle anderen möglichen Verdächtigen erst mal ausschließen. Wenn sich mal einer in einem der vielen "Schnellfahrerforen" zu dem Thema äußert und von sachkundiger Seite nachgehakt wird, war es dann doch der falsche Reifen, Luftdruck, Sägezähne - komischerweise immer hinten, dann die Labberschwinge und, und, und.
Ein durch Ladung, Sozia oder Sitzhaltung entlastetes Vorderrad, die Flatterregenkombi, es gibt unzählige Möglichkeiten, ein Moped in den Graben zu werfen, aber Schuld ist natürlich das Lenkkopflager.
Das, bei der Sommer verbaute Teil ist nicht ohne Fehl und Tadel, nach deutschem Präzisionsverlangen vielleicht sogar Schrott, aber, Laufleistungen von 60.000 - 80.000km ohne Auffälligkeiten, d.h. es geht da noch mehr sind doch eigentlich ein Argument dafür, sowohl Rahmenkonstruktion = Lagersitze wie auch das Lager selbst als funktionstüchtige Bauteile zu sehen. Wer sich einmal durch die einschlägigen Foren hangelt, wird selbst bei Honda Baureihen finden, bei denen die Werkstätten auch nach 4 Jahren noch ungefragt Lenkkopflager wechseln, auf Kulanz, weil die Teile Sch...qualität hatten.
Schlussendlich ist es doch so: Die Sommer II und auch der Vorgängerrahmen sind gutmütige Fahrzeuge mit recht kurzem Nachlauf, dadurch leicht zu handeln, kurvenfreundlich und eigentlich fehlertolerant. Geschwindigkeiten, in denen "Hochgeschwindigkeitspendeln" oder echtes Lenkerschlagen auftreten, fährt mit der Sommer keiner. Bei den vereinzelt bemerkten Unregelmäßigkeiten liegt es wohl meist an falscher Beladung, Reifenzustand/Fabrikat, schiefer Schwinge oder fehlender Schwingen-Vorspannung.
Fazit:
- ein Lenkkopflager ist ein sicherheitsrelevantes Bauteil, das die Fahreigenschaften beeinflusst
- ein Lenkkopflager sollte regelmäßig, (nicht nur alle 2 Jahre durch den TÜV) überprüft werden
- ein Lenkkopflager, das die gedachte Funktion erfüllt ist in Ordnung und muss nicht verbessert werden
- ein Lenkkopflager ist ein Verschleißteil
- je nach Konstruktionsprinzip und Lagerbauart können Rahmen-Toleranzen ausgeglichen werden
- ein Kegelrollenlager ist nicht "besser", bei idealen Einbaubedingungen aber haltbarer
- Bei den Bedingungen, unter denen eine Sommerdiesel oder ein gleichstarkes/-schnelles Motorrad betrieben wird, dürfte ein serienmäßig verbautes Lenkkopflager nie ursächlich für einen Unfall sein.
- verbaute Lager, sowohl in alten wie in neuen Rahmen, die seit 60.000 km und mehr ihre Aufgabe problemlos erfüllen, selbst nach südamerikanischen Waschbrettpisten noch einwandfrei funktionieren, sollten überzeugend genug sein -> Das verbaute Lager erfüllt seine Zweck, ist belastbar, haltbar, mehr/präziser/hochwertiger braucht es nicht zu sein!
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Über Ausbau und Lagerwechsel soll ein Sommer-Diesel-Fahrer schreiben, ich werde bei meinem Moped versuchen, immer rechtzeitig nachzustellen und zu fetten und gehe bei meiner Jahresfahrleistung davon aus, dass ich bei den o.a. Laufleistungen das Ende und den Wechsel meines Lenkkopflagers den Händen meines Rechtsnachfolgers überlassen zu können.
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PS: Damit keiner auf den Gedanken kommt, der Herr labert rum und kennt das alles nur theoretisch ->
Messung:
Neues Lager aus der Ersatzteilkiste, Enfield-Original-Teil, eingeschweißt mit Transport-/Lagerungsschutzfett drauf. Ohne notariellen Beistand geöffnet, gereinigt und anschließend vermessen - alles fotografiert und von der Laufbahnvermessung der 4 Schalen jeweils ein Kurzfilmchen gedreht.
Fazit:
- Verarbeitung, Oberflächenschutz - Chrombedampfung ohne Kupfer/Nickel-Grund - , Maßhaltigkeit sind für unsere Verhältnisse und Maßstäbe unter aller Sau!
- 2x19 =38 Kugeln, mit der Bügelmessschraube überprüft => 15 Stück mit 6,36mm Ø, 22 Stück mit 6,355mm Ø und 1 Stück mit 6,35mm Ø - doll ist das nicht!
- Bei der Vermessung der Lagerschalen - im Dreibackenfutter eingespannt und mit der Messuhr ausgerichtet, anschließend die Messuhrspitze (Kugel) in der Lagerrille geführt und das Futter gedreht - waren bei allen 4 Lagerschalen Abweichungen von 0,05-0,06mm, d.h. 5/100-6/100mm messbar, auf den Filmchen gut erkennbar.
Selbst wenn ich das Steuerkopfrohr optimal vorbereitet habe, kann mir das unegale indische Lager im Extremfall/ungünstigste Verhältnisse eine Schiefstellung von 4 x 6/100mm bringen, d.h. wir reden jetzt über einen ¼ Millimeter. Bei einem Lager definitiv schon ein Wert!
Wenn ich so ein Schalenpaar trocken mit den zugehörigen 19 Kugeln befülle, dann zusammengehalten bewege tanzen die "kleineren" Kugeln fröhlich zwischen den festgeklemmten großen, man kann sogar Geräusche damit machen - Rumbakugeln sorgen für ein beschwingtes Fahrerlebnis
Fazit:
- Verarbeitung, Oberflächenschutz - Chrombedampfung ohne Kupfer/Nickel-Grund - , Maßhaltigkeit sind für unsere Verhältnisse und Maßstäbe unter aller Sau!
- 2x19 =38 Kugeln, mit der Bügelmessschraube überprüft => 15 Stück mit 6,36mm Ø, 22 Stück mit 6,355mm Ø und 1 Stück mit 6,35mm Ø - doll ist das nicht!
- Bei der Vermessung der Lagerschalen - im Dreibackenfutter eingespannt und mit der Messuhr ausgerichtet, anschließend die Messuhrspitze (Kugel) in der Lagerrille geführt und das Futter gedreht - waren bei allen 4 Lagerschalen Abweichungen von 0,05-0,06mm, d.h. 5/100-6/100mm messbar, auf den Filmchen gut erkennbar.
Selbst wenn ich das Steuerkopfrohr optimal vorbereitet habe, kann mir das unegale indische Lager im Extremfall/ungünstigste Verhältnisse eine Schiefstellung von 4 x 6/100mm bringen, d.h. wir reden jetzt über einen ¼ Millimeter. Bei einem Lager definitiv schon ein Wert!
Wenn ich so ein Schalenpaar trocken mit den zugehörigen 19 Kugeln befülle, dann zusammengehalten bewege tanzen die "kleineren" Kugeln fröhlich zwischen den festgeklemmten großen, man kann sogar Geräusche damit machen - Rumbakugeln sorgen für ein beschwingtes Fahrerlebnis
Das epochale Filmereignis -> https://vimeo.com/118594575
Mein Lenkkopflager bleibt trotzdem drin und ich fahre damit auch mal 130 kmh, in der Ebene, bergab geht’s auch schneller!
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